Wir — die Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG — möchten gerne die Karte der Verdrängungsprozesse für "61" aktualisieren: viele Mietshäuser haben nicht nur die Abgeschlossenheitserklärung, sondern sind mittlerweile in Eigentumswohnungen umgewandelt. Kündigungen wegen 'Eigenbedarf' haben Hochkonjunktur. Ferienwohnungen in lukratives möbliertes, zeitlich befristetes Wohnen übertragen. Kleingewerbetreibende verdrängt...
Schaut doch mal in der Karte nach, ob in euren Häusern Daten aktualisiert werden sollten oder ob euer Haus überhaupt schon auf der Karte ist.
Große Anfrage an die BVV vom 16.03.2016 zum Thema Verdrängung im Bezirk und Zweckentfremdung von Wohnraum

Die Große Anfrage wurde in der BVV am 16.03.2016 mündlich beantwortet. Nachfolgend finden Sie eine erweiterte schriftliche Beantwortung. Alle Angaben Stand: 29.02.2016.

Wir fragen das Bezirksamt:

1. Wie viele Anträge auf die Genehmigung von Zweckentfremdung von Wohnraum durch Leerstand sind nach den letzten verfügbaren Zahlen beim Bezirksamt eingegangen?
Es sind 233 Anträge auf Genehmigung von Leerstand eingegangen.

a) Wie viele wurden genehmigt?
Es wurden 186 Anträge genehmigt.

b) Für welchen Zeitraum wurde der Leerstand im Regelfall genehmigt?
Ein Regelfall ist nicht ersichtlich. Der Zeitraum wird individuell auf Grund des vorgelegten Sanierungskonzeptes/der Umbaumaßnahmen überprüft und festgelegt.

c) Wie viele wurden abgelehnt?
Es wurden 3 Anträge abgelehnt.

d) Wie viele sind noch in Bearbeitung?
Es sind noch 41 Anträge in Bearbeitung. Hier ist die Prüfung des Sanierungskonzeptes/ der Umbaumaßnahmen noch nicht abgeschlossen.

e) Wie viele zuvor leerstehende Wohnungen stehen wieder als Mietwohnungen zur Verfügung?
Bisher konnten 2 Wohnungen dem Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden. Bei den restlichen Wohnungen wird der Abschluss der Baumaßnahmen terminlich überwacht und die Wohnung anschließend dem Wohnungsmarkt wieder zugeführt.

2. Wie viele Anträge auf die Genehmigung von Zweckentfremdung von Wohnraum durch Nutzung als Ferienwohnung sind nach den letzten verfügbaren Zahlen beim Bezirksamt eingegangen?
Bisher sind 200 Anträge auf Genehmigung der Zweckentfremdung eingegangen.

a) Wie viele wurden genehmigt?
Es wurde eine Ferienwohnung wegen geschaffenem Ersatzwohnraum genehmigt.

b) Wie viele wurden abgelehnt?
Es wurden 79 Anträge abgelehnt.

c) Wie viele sind noch in Bearbeitung?
Es befinden sich noch 42 Anträge in der Bearbeitung bzw. im Widerspruchs- oder Klageverfahren. Ergänzung, weil nicht erfragt: Darüber hinaus wurden 34 Anträge durch die Antragsteller nach Beratung wieder zurückgenommen. Es wurden 42 Genehmigungen für Gästewohnungen(Havarie- und Besucherwohnungen der Gesellschaften und Genossenschaften), für soziale Einrichtungen (Wohngemeinschaften) und Notunterkünfte (ASOG Obdachlosenunterbringung) erteilt.

d) Wie viele ehemalige Ferienwohnungen stehen wieder als Mietwohnungen zur Verfügung?
406 Wohnungen konnten dem Berliner Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden. (korrespondiert mit Frage 4c.)

3. Wie viele Anzeigen von Bürger*innen zur Zweckentfremdung von Wohnraum durch Leerstand sind nach den letzten verfügbaren Zahlen beim Bezirksamt eingegangen?
222 Hinweise auf leerstehenden Wohnraum sind bei uns eingegangen.

a) Wie vielen wurde bereits nachgegangen? Wie viele sind noch in Bearbeitung?
Es wird jedem Hinweis nachgegangen. Aktuell befinden sich 75 Verfahren in der Bearbeitung.

b) In wie vielen Fällen hat sich der Verdacht bestätigt?
Diese Daten werden statistisch nicht erfasst. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in mindestens 88 Fällen (vgl. 3c.) der Verdacht bestätigt wurde. Ggf. ergeben sich weitere Bestätigungen aus den laufenden Verfahren (vgl. 3a.)

c) Wie viele zuvor leerstehende Wohnungen stehen auf Grund einer Anzeige aus der Bevölkerung (und sich anschließendem Verwaltungshandeln) wieder als Mietwohnungen zur Verfügung?
88 Wohnungen konnten dem Berliner Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden.

4. Wie viele Anzeigen von Bürger*innen zur Zweckentfremdung von Wohnraum durch Nutzung als Ferienwohnung sind nach den letzten verfügbaren Zahlen beim Bezirksamt eingegangen?
409 Hinweise auf Zweckentfremdung von Wohnraum sind bei uns eingegangen. Hierzu zählen durchgeführte Recherchen (Internetrecherche und Ortsbegehungen) der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sowie Bürgerhinweisen.

a) Wie vielen wurde bereits nachgegangen? Wie viele sind noch in Bearbeitung?
Es wird jedem Hinweis nachgegangen. Aktuell befinden sich 102 Verfahren in der Bearbeitung.

b) In wie vielen Fällen hat sich der Verdacht bestätigt?
Diese Daten werden statistisch nicht erfasst. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in mindestens 293 Fällen (vgl. 4c.) der Verdacht bestätigt wurde. Ggf. ergeben sich weitere Bestätigungen aus den laufenden Verfahren (vgl. 4a.).

c) Wie viele zuvor als Ferienwohnungen genutzte Wohnungen stehen auf Grund einer Anzeige aus der Bevölkerung (und sich anschließendem Verwaltungshandeln) wieder als Mietwohnungen zur Verfügung?
293 Wohnungen konnten dem Berliner Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden.

5. Wie viele Mitarbeiter*innen bearbeiten zurzeit den Bereich Zweckentfremdung und wie viele werden es nach Ablauf der Übergangsfrist ab 01.05.2016 sein?
Aktuell sind 3 Vollzeitstellen und 2 Halbtagsstellen besetzt. Ab 01.04.2015 wird der Bereich um eine halbe Stelle aufgestockt.
Ab Sommer 2016 werden voraussichtlich nochmals 4 zusätzliche Stellen besetzt sein.

6. Welche neuen Möglichkeiten zur Verhinderung von Zweckentfremdung sieht das Bezirksamt nach Verabschiedung der Gesetzesnovelle zum Zweckentfremdungsverbotsgesetz, die u.a. die Suche nach Anbietern im Internet erleichtert?
Vereinfachte Recherchemöglichkeiten durch die Verpflichtung von einschlägigen Internetportalen Daten der Anbieter bzw. Daten zur Wohnung offen zu legen, ermöglicht Amtsverfahren gegen bisher nicht ermittelbare Ferienwohnungen und Eigentümer einzuleiten. Unterstützt wird dies durch die Möglichkeit, Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen diese (Internetportale) zu führen.
Der Wegfall der 2-Monatsfrist, die bisher z.B. das Modell „Wohnen auf Zeit“ erheblich erleichterte, sorgt nun für eine Möglichkeit, auch diese Wohnungen wieder dem dauerhaften Wohnungsmarkt zuzuführen.
Die Verschiebung der Genehmigungsfiktion um weitere 2 Jahre verschafft dem Bezirksamt die Möglichkeit sämtliche Anträge allumfassend und termingerecht prüfen und bescheiden zu können und dadurch einer automatischen Genehmigung durch Fristüberschreitung zu entgehen. Einer Ungleichbehandlung der Antragsteller wird somit entgegen gewirkt.
Jedoch sollte die Genehmigungsfiktion grundsätzlich abgeschafft werden.

7. Wie viele Mietwohnungen wurden im Rahmen von gewerblicher Nutzung an Flüchtlinge vermietet?
Da das Zweckentfremdungsverbotsgesetz den Erhalt des Wohnraums für die Berliner Bevölkerung zum dauerhaften Wohnen vorsieht, steht eine Unterbringung nach Tagessätzen hierzu im Widerspruch. Das öffentliche Interesse am Erhalt von „Dauerwohnraum“ ist höher zu bewerten als die kurzfristige Unterbringung von Flüchtlingen. Hinzu kommt, dass Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigung ebenfalls Wohnraum zur dauerhaften Nutzung benötigen.

a) In wie vielen Fällen hat das Bezirksamt diese Nutzung untersagt?
Eine statistische Erfassung, die sich nur auf die Untersagung solcher Nutzungen bezieht, erfolgt nicht. Das Bezirksamt hat keine solche Genehmigungen erteilt.

b) In wie vielen Fällen hat das Bezirksamt diese Nutzung genehmigt?
Eine Unterbringung nach Tagessätzen wird zweckentfremdungsrechtlich in der Regel nicht genehmigt. Bisher wurden unsererseits keine Genehmigungen ausgesprochen. Das heißt nicht, dass davon ausgegangen werden kann, dass es keine solchen Nutzungen im Bezirk gibt, da das Bezirksamt nicht beurteilen kann, ob und in wie vielen Fällen das LAGeSo oder andere Bezirksämter Flüchtlinge in unserem Bezirk in gewerblich genutzten Wohnungen untergebracht haben. Eine solche Unterbringung ohne bezirkliche Genehmigung wäre jedoch illegal.

c) Welche Unterkunftskosten werden dabei durch die Eigentümer pro Flüchtling/Tag geltend gemacht?
Je nach Zuständigkeit der Behörde (LAGeSo oder Bezirksämter) werden 25 bis 50 Euro pro Tag und Person für die Unterbringung geltend gemacht.

8. Wie überprüft das Bezirksamt seine Untersagungen, Auflagen etc. aktuell und ab 01.05.2016?
Es erfolgt eine strenge terminliche Überwachung der Auflagen bzw. angeforderten Nachweise (z.B. Mietverträge). Zudem werden regelmäßige Kontrollen (u.a. durch Ortbegehungen)
durchgeführt.

9. Wie viele Rechtsmittel sind mit welchen Begründungen gegen Entscheidungen des Bezirksamtes eingelegt worden und wie sind diese inzwischen entschieden worden?
  • Widersprüche: 118 eingegangene Widersprüche, davon 20 Stattgaben und 95 Zurückweisungen durch das Bezirksamt, in 6 Fällen zog der Widerspruchsführer den Widerspruch selbst zurück
  • Klagen: 29
  • Eilverfahren zur Erlangung eines vorläufigen Rechtsschutzes: 3
10. Wie viele Bußgelder sind in welcher Höhe wegen Zweckentfremdung inzwischen verhängt worden und welche Ausgleichszahlungen sind bei Genehmigungen gezahlt worden?
Bisher wurde ein Bußgeld in Höhe von 10.000 Euro verhängt. Das Verfahren befindet sich in gerichtlicher Prüfung.
Ausgleichszahlungen sind bisher vom Bezirksamt nicht verlangt worden. Bei den erfolgten Genehmigungen wegen vorrangiger öffentlicher Interessen (vgl. Ergänzung zu 2.) hat der Gesetzgeber eine Ausgleichszahlung ausgeschlossen.

11. Können Vermieter*innen auf eine Ausgleichszahlung bestehen oder ist diese eine Ermessensentscheidung?
Genehmigungen können mit Ausgleichszahlung erteilt werden. Es handelt sich hierbei immer um eine Ermessensentscheidung der Behörde.

12. Wie beurteilt das Bezirksamt das immer stärker zunehmende sog. „Wohnen auf Zeit“, das die Bestimmungen des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes aushebelt und welche Möglichkeiten sieht das Bezirksamt dagegen ggf. vorzugehen?
Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz wurde beschlossen, um der zunehmenden Wohnungsknappheit der Berliner Bevölkerung entgegen zu steuern. Das Modell „Wohnen auf Zeit“ widerspricht diesem Anspruch. Die Novellierung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes gibt dem Bezirksamt zusätzliche Eingriffsmöglichkeiten zur Schaffung von „Dauerwohnraum“ (siehe auch Frage 6).

13. Wie verfährt der Bezirk in den Häusern, die aus der Sozialbindung herausfallen und wo die Miete teilweise auf das Doppelte ansteigt?
a) Welche Unterstützung gibt es für betroffene Mieter*innen?
Die Aussage, dass nach Wegfall der Sozialbindungen sich die Mieten im ehemaligen sozialen Wohnungsbau verdoppeln kann nicht nachvollzogen werden. Mit dem Wegfall der sozialen Bindungen fallen die Wohnungen unter das Vergleichsmietensystem (BGB). Hier sind die Mieten in Berlin meist geringer als die Mieten des Berliner sozialen Wohnungsbaus.
Sollten hier Fälle gemeint sein bei denen nach der 15 jährigen Grundförderung die Anschlussförderung nicht gewährt wurde, so kann tatsächlich die Kostenmiete verlangt werden. Diese ist erheblich höher als die ursprüngliche Sozialmiete, da die Aufwandszuschüsse, die das Land nicht mehr zahlt nun vom Mieter verlangt werden. Im Falle eines Wechsels des Verfügungsberechtigten fallen die Wohnungen ins Vergleichsmietensystem.
Sollte es konkrete Hinweise zu solchen Mietsteigerungen geben, wären belastbare Akten sehr hilfreich, um dem Wohnungsamt die Möglichkeit zu geben, dieses zu prüfen
bzw. prüfen zu lassen.
Für alle Mieter im sozialen Wohnungsbau gibt es seit dem 01.01.2016 die Möglichkeit einen Mietzuschuss gem. Wohnraumversorgungsgesetz Berlin zu beantragen. Dies gilt auch für die Mieter in Wohnungen, die vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen sind.

b) Achtet der Bezirk in diesen Fällen besonders darauf, ob im Ergebnis von Baugenehmigungen oder Anträgen auf Abgeschlossenheitserteilungen Verdrängungen stattfinden?
Nein, hierzu sieht die Bauordnung keinen gesetzlichen Auftrag vor.

c) Gibt es im Bezirk eine Dokumentation über die Erteilung von Abgeschlossenheitserklärungen und den Zusammenhang mit Genehmigungen verschiedener Modernisierungsmaßnahmen?
Nein, hierzu sieht die Bauordnung keinen gesetzlichen Auftrag vor.

Mit freundlichen Grüßen
Knut Mildner- Spindler

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