PM 28.10.2014 George Grosz würde sich im Grabe umdrehen
vom Bündnis Stadt von Unten
Kritische Kunst als Feigenblatt, um hochpreisige Immobilienentwicklung politisch zu legitimieren, George Grosz hat diesen Umgang nicht verdient
Wir fordern den Senat und den Bund auf, den noch nicht vollzogenen Verkauf des ehemaligen Dragoner-Areals in Kreuzberg an einen privaten Immobilien-Projektentwickler sofort zu stoppen.
Arne Piepgras, der Eigentümer des „Stattbad Wedding“, hat nach eigener Aussage den Zuschlag für das noch im Besitz des Bundes befindliche sogenannte Dragoner-Areal in Friedrichshain — Kreuzberg zum Höchstgebot von 36.000.000 Euro erhalten.
Entstehen sollen: ein Kunstmuseum, 30 Ateliers und Galerien, einige Wohnungen und vor allem Gewerbeflächen. Laut Florian Schöttle (ehemaliger Atelierbeauftrager des bbk — Bund bildender Künstler) soll das den Bedürfnissen der Kreuzberger Bevölkerung gerecht werden. Das Bündnis Stadt von Unten bezweifelt, dass dieses Konzept diesen Bedürfnissen entspricht.
Gemäß den Aussagen des Projektentwicklers sollen hier 9.000 m2 Ateliers und Galerien, sowie ein Museum für den Nachlass des Künstlers Georg Grosz in den Räumen der LPG entstehen.
Schon diese Flächen für Kunst und Kultur sind undefiniert. Sind das günstige Ateliers, langfristig gesichert? Es ist nach den Friedrichshainer und Weddinger Erfahrungen mit Piepgras unwahrscheinlich, dass dieser Entwickler Flächen für die Kunst uneigennützig und dauerhaft günstig zur Verfügung stellt.
Bei der vom Investor angesetzten Bebauungsdichte (GFZ 2.0 ) können insgesamt auf dem Areal 94.000 m2 BGF entwickelt werden. Was passiert also mit den restlichen 84.000 m2, die nicht Kunst und Kultur vorbehalten sind?
Die angesprochenen ein Drittel Wohnen (etwa 28.000 m2 Nutzfläche (NF), sind in ihren Konditionen (Eigentumsverhältnis, Kaufpreis, Miethöhe) nicht definiert, ebensowenig wie die 45.000 m2 NF Gewerbe, die zu hohen Mieten oder Kaufpreisen sehr profitabel verwertet werden können. (1)
Hier sollen also ein Museum für einen verstorbenen kritischen, linken Künstler sowie ein paar Atelierflächen und evtl. eine Handvoll bezahlbare Wohnungen dafür herhalten, die Privatisierung und renditeorientierte Entwicklung zehntausender Quadratmeter Flächen politisch zu legitimieren?
Auch wenn dieses Resultat durch das durch den Bund unbeirrt durchgezogene Bieterverfahren nicht verwunderlich ist, so ist es mehr als fragwürdig, das sich auch zentrale Akteure der sich als alternativ verstehenden Stadtentwicklerszene, die sich an anderer Stelle als Aktivisten für eine transparente Liegenschaftsvergabe einsetzen, an Arne Piepgras Konzept beteiligen und dieses damit politisch legitimieren.
Dass die Nachbarinnen und Stadtbewohner sich bei den bisherigen Beteiligungsverfahren vor allem bezahlbaren Wohnraum gewünscht, und Angst vor einer weiteren Aufwertung haben scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen. Nach Bedürfnissen gefragt hat dieser Investor unseres Wissens nach weder bei den Initiativen noch bei den Nachbarn. Wenn das Geld auf den Tisch gelegt wird, ist es für Konzepte und Wünsche, die wirklich etwas verändern bereits zu spät — das muss sich dann vor allem rechnen und das, schnell.
Hier wird versucht mit Kunst und Kultur in einem intransparenten Vergabeverfahren auf dem bestehenden Planungsrecht jegliche Beteiligung und Teilhabe der StadtbewohnerInnen, MieterInnen und Künstlerinnen zu umgehen. Ausverkauf, Intransparenz und kurzfristig gedachte Stadtentwicklung mit garantierten Verdrängungsprozessen.
Nach den fast beleidigten Reaktionen des Berliner Senats auf den Volksentscheid zum Tempelhofer Feld wird hier eine einzigartige Chance vertan. Hier könnte annähernd der für das Tempelhofer Feld versprochene Anteil an bezahlbaren Wohnungen realisiert werden.
Zu hoffen bleibt noch auf den Bezirk. Leider fordert der weiterhin lediglich 20–30 % bezahlbare Wohnungen — ob vom Gelände oder nur dem Wohnanteil und auch was bezahlbar heißt, bleibt unklar. Nicht zu vergessen: eine Grünfläche und eine KITA!
Die Kreuzberger Bevölkerung, die BewohnerInnen dieser Stadt und die, die neu dazukommen, brauchen dringend bezahlbaren Raum. Kultur darf nicht gegen eine sozialen Stadtentwicklung instrumentalisiert werden.
Es muss verhindert werden, dass Konzepte solcher Investoren für gut befunden werden — wir müssen endlich langfristige und nachhaltige Konzepte diskutieren, entlang der Bedürfnisse derer, die sich am Markt nicht behaupten können. Es kann nicht angehen, dass die wenigen verbleibenden, noch in öffentlicher Hand befindlichen Grundstücke nun mit einer Art politsch-kulturellen Mischkalkulation vergeben werden. Hier ein Investor, hier ein armer Mieter, und dort ein armer Künstler. Ihr habt schon die ganze Stadt verkauft! (z.b. Bahn-, Post-, Behala- sowie tausende städtische Grundstücke und Objekte, städtische Wohnungsbau und Gewerbegsellschaften wie GSW und GSG, die gerade in Kreuzberg viele Objekte haben).
Dem Senat und der Bundesregierung sagen wir: Ihr habt euren Teil an der Mischkalkulation schon längst vergeben. Der Rest gehört zu 100 Prozent den Armen, den Künstlern. Tempelhof genauso wie Dragoner.
Deshalb fordert das Bündnis Stadt von Unten für Bundes- und Landeseigene Grundstücke die Entwicklung von 100 % bezahlbaren Wohn- und Arbeitsflächen, in kommunalem Eigentum mit Selbstverwaltung und langfristiger Absicherung, um der in Kreuzberg und stadtweit stattfindenden Verdrängung und enormen Mietsteigerungen entgegen zu wirken.
Wo ist das möglich, wenn nicht hier?
Das Bündnis Stadt von Unten…
- fordert die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben auf, die Veräußerung öffentlicher Flächen an private Investoren hier und anderswo sofort zu stoppen
- fordert den Bund auf, ihre Ziele einer sozialen Stadtentwicklung genau dort umzusetzen
- fordert die SPD auf, zusammen mit den Stimmen der Grünen und Linken im Haushaltshausschuss des Bundestages dem Verkauf des Areals die Zustimmung zu verweigern
- fordert den Bezirk auf, den bestehenden Bebauungsplans mit sofortiger Wirkung auszusetzen
- fordert den Senat und Bezirk die nach Tempelhof versprochene Beteiligung und Transparenz ernst zu nehmen und politisch umzusetzen
- fordert Michael Müller, Stadtentwicklungssenator und zukünftigen Bürgermeister dazu auf, für den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum mit langfristigen Konzepten hier einzustehen und Stellung zu beziehen
- die Stadtgesellschaft gemeinschaftlich dazu auf, dafür einzustehen, dass kein Euro öffentliche Förderung an diesem Gelände und anderswo mehr in private Taschen fließen und dass öffentliche Grundstücke und Immobilien einer nachhaltigen und gemeinnützigen Nutzen zukommen. Es sind schon genug öffentliche Gelder in private Taschen geflossen, das machen die paar Millionen eines privaten Investors in öffentliche Kassen nicht wett.
- fordert von der Stadt eine würdige Präsentation der großartigen Werke von George Grosz in einem nicht von Investoren bestimmten Umfeld
(1) – Zum Vergleich: Es wurden in einem anderen Gebot , das sozial und ökonomisch gerechnet hatte 22.300 m2 Nutzfläche bezahlbare Wohnungen + Genossenschaftsflächen, also 575 WEs in kommunalem oder genossenschaftlichem Eigentum „angeboten“, davon 340 bezahlbar (6,50-7,50 Euro/ m2), auch hier wären 20.200 m2 NF Gewerbeflächen, davon langfristige abgesichert und selbstverwaltet 5.500 m2 (das entspräche 137 Ateliers/ bzw. Kleingewerbeflächen oder Werkstätten) mit einem eingepreisten Beteiligungsverfahren mit seriösem Zeitrahmen.