Ausverkauf der Mittenwalder Str. 6 in Kreuzberg

Kontinuierliche Zerstörung von Nachbarschaften, Zerstörung von Wohnraum,
Zerfall der Bausubstanz — mitten im Milieuschutzgebiet

Dieser klassische Berliner Altbau mit Wohnungen im Vorderhaus, Seitenflügel und Hinterhaus sowie Gewerbe in den Ladenlokalen zur Straße und in der Remise befindet sich seit 15 Jahren in der Spekulationsspirale und steht beispielhaft für den Ausverkauf der Stadt.
Mittenwalder StrDrei Mal wurde das Haus seit 2009 verkauft und mit jedem Verkauf wurde mehr klassischer Wohnraum den Berliner*innen entzogen und Profit aus der Not und Unwissenheit von Menschen geschlagen, während in die Instandhaltung nicht mal das Allernötigste investiert wurde.
Langjährige Mieter*innen und gemeinnützige Projekte im Haus verloren in der Folge ihre Unterkunft und wurden durch AirBnB und kurzfristige, möblierte Vermietungen einzelner Zimmer zu maximal erhöhten Preisen ersetzt. Das Gebäude liegt im Milieuschutz-Gebiet. Und trotzdem werden hier momentan oder zukünftig 14 Wohnungen als möblierte Zimmer angeboten, die Nachbarschaft sukzessive zerstört. Ein- und Mehrbettzimmer für Student*innen, vorzugsweise aus dem Ausland. Demgegenüber stehen mittlerweile nur noch 12 Wohneinheiten, die herkömmlich vermietet und bewohnt sind.

Zur jüngeren Geschichte

2009 verkaufte der damalige Eigentümer, der Verband der Islamischen Kulturzentren e. V., das Haus für 6 Millionen Euro an die Insel Real Estate.
Zunächst sah es so aus, als würde eine Galerie und ihr angeschlossene „Künstlerwohnungen“ das Leben im Haus (noch) bunter machen, doch wurde schnell klar, dass die Galerie nur als Deckmantel für eine knallharte Profitmaximierung der Insel Real Estate diente.

So wurde Mieter*innen von Gewerberäumen kurzfristig und bewusst in den Ferien gekündigt. Soziale Projekte, die in der Mittenwalder Straße 6 seit vielen Jahren ihr Zuhause hatten, wie z. B. die Jugendhilfe AjB GmbH und Haus Sonnenschein als Wohnheim für sozial benachteiligte Männer mussten ihre Räume verlassen bzw. erhielten keine Verlängerung ihrer Mietverträge. Die verschiedenen Räumlichkeiten des Wohnheims wurden umgehend renoviert, schlicht möbliert und ebenso unmittelbar wie hochpreisig bei AirBnB angeboten.
Andere langjährige Mieter*innen erhielten massive Mieterhöhungen und/ oder wurden u. a. mit haltlosen fristlosen Kündigungen unter Druck gesetzt.
Wasserschäden, Schimmelbefall, kaputte Heizungen, ausfallende Stromleitungen, überlaufende Toiletten und andere Schäden wurden monatelang nicht behoben und die Mieter*innen zu entsprechenden Geduldsproben gezwungen.

Alle frei werdenden Wohnungen wurden in so viele kleine Zimmer unterteilt wie nur möglich, ebenfalls einfach möbliert und bei AirBnB angeboten. Die Situation im Haus glich zeitweise der eines stark frequentierten Hostels mit ständig wechselnden Gästen.
2017 wurde das Haus an den Start-Up-Milliardär Hakan Koç für 12 Millionen Euro weiterverkauft. Die Nutzung der ehemals „normalen“ Wohnungen als Ferienwohnungen via AirBnB war zu diesem Zeitpunkt illegal geworden. Der neue Eigentümer bot daher die einzelnen kleinen Zimmer in den vielen freien Wohnungen fortan für eine Mindestmietdauer von einem Monat an. Die Vermietung dieser Wohnungen erfolgte über eine extra Agentur, die für die Belange der Mieter*innen nicht erreichbar war. Nach und nach zogen die Mieter*innen aus und immer mehr Wohnraum stand und steht seither komplett leer.
Im Sommer 2021 wurde langjährigen Gewerbemieter*innen der Vertag nicht verlängert, z. B. mussten die Katakids, eine Artistikschule für Kinder, ausziehen.
Diese Räume und damit viele weitere Gewerbequadratmeter, stehen seither leer: Leere Häuser lassen sich besser verkaufen.

Heute

2021 stand das Haus erneut zum Verkauf. Die Mieterschaft schloss sich zusammen, hoffte auf einen Vorkauf und anschließend genossenschaftliches Wohnen sowie neue langfristige Nachbar*innen, die das Haus wieder mehr beleben und die Nachbarschaft stärken. Diese Hoffnung wurde durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im November 2021 zerstört.
Stattdessen ging die Immobilie an Lakeward Deutschland GmbH*, eine Niederlassung einer Schweizer Immobilien-Investment-Boutique und wurde Teil eines Fonds. Sitz der Firma ist das Steuerparadies Luxemburg.
Auf der Internetseite ist über das Portfolio der Mittenwalder Str. 6 ein Zitat des Gründers und CEO Simon Koenig zu lesen: "Die erworbene Immobilie eignet sich hervorragend für das Startportfolio des neuen Immobilienfonds, da sie von Anfang an einen attraktiven Cashflow und deutliches Wertsteigerungspotential durch die Neupositionierung bietet".

Lange Zeit passierte erst mal nichts. Dem Bezirksamt ist der Leerstand bekannt und immerhin gelang es durch Vorlage alter Mietverträge den Status von drei großen Wohnungen, die ehemals gewerblich genutzt wurden, rechtlich als Wohnraum zu sichern.
Gleichzeitig wurden die noch verbliebenen Mieter*innen der möblierten Zimmer gekündigt, mit Abfindungen gelockt auszuziehen und unter Druck gesetzt. Zwei der Mieter*innen befinden sich im Rechtsstreit mit den Eigentümern. Alle anderen haben aufgegeben.
Oberflächliche Renovierungsarbeiten der leer stehenden Wohnungen begannen und stockten wieder; die Besitzer hielten sich über die angestrebte Art der Vermietung bedeckt.
Jetzt ist klar: die Vermietung aller 14 Wohnungen sowie alle Wohnungen, die ggf. zukünftig frei werden übernimmt eine Firma namens „Insider Apartments“:**
Diese bezeichnet sich selbst als Studentenwohnheim und vermietet ausschließlich an Student*innen, vorzugsweise aus dem Ausland. Die angebotenen Zimmer auf der website sind keiner eindeutigen Adresse zuzuordnen, die Firma vermietet laut eigenen Angaben ebenso Zimmer in Charlottenburg, Schöneberg und Köpenick. Ein Bett in einem Zweibettzimmer gibt es ab 500 €, ein Einzelzimmer mit Bett, Schrank, Schreibtisch und Stuhl ab 600 € aufwärts. Die Preise der konkreten Zimmeranzeigen auf ihrer facebook-Seite sind nochmal deutlich höher. 650 € für ein Bett in einem kleinen Zweibettzimmer, 850 € für einen Raum mit Privatsphäre. Zumindest die Vermietung von Mehrbettzimmern entspricht nicht mehr dem Wohnzweck und gegen zu hohe Mieten kann theoretisch auch durch den §5 Wirtschaftsstrafgesetz vorgegangen werden. Handeln könne man laut Bezirksamt aber erst, wenn es entsprechende Inserate oder Mietverträge gebe. Zusätzlich können die betroffenen Mieter*innen die Miethöhe rügen und ihre individuellen Rechte durchsetzen, sofern sie Kenntnis davon haben und sich trauen.

Die Rezensionen über Insider Apartments sind entweder voll des Lobes und lesen sich in Teilen wie fake- Bewertungen. Die anderen berichten von überteuerter Miete, Wohnen in Zweibettzimmern, Einbehalten der Kaution, Nicht-Reagieren auf Anliegen und plötzlicher Mieterhöhung.
So lässt sich aus den Wohnungen nochmal deutlich mehr Profit schlagen.
Die komplette Gewerbe-Remise mit Wasserschaden steht derweil leer, weitere Mängel in den Wohnungen, wie Schimmelbefall, undichte Decken, baufällige Balkone werden nicht behoben.
Ob diese Praxis legal ist und ob dagegen etwas unternommen werden kann, bleibt abzuwarten und hängt sicher auch damit zusammen, ob es seitens Politik und Verwaltung konkrete Unterstützungsangebote gibt. Denn ohne Einmischung, Zeit und Engagement wird all das ungehindert geschehen können.
Dass Eigentum verpflichtet und dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, liest sich angesichts dieser Zustände jedenfalls wie blanker Hohn.

Hintergrundinformationen zu Lakeward und Insider Apartments

* Lakeward ist kein neuer Player in Berlin. Ebenfalls in ihrem Portfolio ist das Gebäude P89 – die ehemalige Telekomzentrale in Friedrichshain. Im Vorfeld wurden Künstler*innen mit einem Rückkehr-Versprechen aus dem Haus gedrängt; Verhandlungen mit dem Bezirksamt und Stadtrat Schmidt liefen laut Artikel des Tagesspiegels vom 19.06.20218 in´s Leere, die Factory Berlin sprang als Mieterin ab und lies die Künstler*innen im Regen stehen.
Der Gründer der Factory Berlin behauptete in dem Tagesspiegel-Artikel von 2018 noch in keinem Zusammenhang mit P89 zu stehen. Im Oktober 2022 wurde P89 jedoch an ihn verkauft.
Die Factory Berlin ist Mieterin eines ebenfalls von Lakeward entwickelten Gebäudes in der Lohmühlenstr. 65. Von den vormaligen Gewerbemieter*innen ist kein einziger mehr in dem Gebäude ansässig.

„So war es für uns ehemalige Mieter*innen des Bürohauses in der Lohmühlenstr. 65 (heute Factory) eine überraschende und bittere Erfahrung, als wir für den Herbst 2016 alle unsere Kündigungen bekamen, damit die Factory am Görlitzer Park in Berlin ihr zweites Standbein eröffnen kann. Zuvor waren in dem Gebäude neben dem Bildungsträger „Stiftung Bildung und Handwerk“ (SBH Nord), der ein Großteil des Gebäudes für Ausbildungszwecke und Weiterbildungsmaßnahmen nutzte, auch rund 150 Gewerbetreibende und Künstler*innen, Musikstudios, Wissenschaftler*innen, Lektor*innen, Filmschaffende, Journalist*innen, Übersetzer*innen, Dolmetscher*innen, Grafiker*innen, Psychotherapeut*innen etc. ansässig. Über den Verkauf des Gebäudes wurden wir erst mit den Kündigungen informiert. Alle Gesprächsanfragen bei der Factory wurden abgeblockt.
Dass diese Entwicklung hierbei politisch gewollt war und gefördert wurde, war uns damals noch nicht klar.“
Denn die Factory Berlin bekam Geld vom Bund zur Entwicklung eines „Digitalisierungs-Hub“.
Dass damit kleine Gewerbetreibende vor die Tür gesetzt wurden, ist wohl ein unangenehmer Nebeneffekt.

Gemeinsam mit der Groth-Gruppe entwickelte Lakeward das Quartier Mittenmang am ehemaligen Lehrter Bahnhof. Auch hier wird auf das lukrative Geschäft mit möblierten Wohnungen und Mikroapartments gesetzt.

Ferdinand´s Garden: In Lichtenberg baut Lakeward derweil 395 neue Wohnungen, 79 davon sind förderfähig.

** Die Machenschaften von Insider Apartments sind nicht unbekannt, es gab sogar bereits einen Artikel im Magazin des Mietervereins über die Kantstr. 41 (Sitz des Unternehmens).

Eine BVV Anfrage der CDU aus Treptow-Köpenick zu einer weiteren Adresse der Insider Apartments (Schnellerstr. 112 a) lässt vermuten, dass die Geschäfte dort ebenfalls aufgefallen sind.
Laut eigener website hat Insider Apartments auch die Finger im Spiel bei der Vermietung von Wohnungen des Hafenplatz.
Über dieses Gebäude wurde mehrfach in der Presse berichtet und es ist dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gut bekannt.
Unter anderem gibt es Verknüpfungen zu Ioannis Moraitis: “Ioannis Moraitis ist in Kreuzberg nicht unbekannt. In 2015 sorgte er für das Aus des Gemüseladens Bizim Bakkal in der Wrangelstraße 77 und legte damit unfreiwillig den Grundstein zur erfolgreichen Initiative Bizim Kiez, die er seit Jahren beklagt.“
„Ein anderer Teil des Gebäudes wurde befristet an Studierende vermietet. Aus diesem Kreis hat sich kürzlich eine Mieterinitiative gebildet. „Es geht uns hauptsächlich um die Betriebskostenabrechnungen, denn einige von uns sollen 1000 Euro nachzahlen“, berichtet Tim Brandes.“ Unklar ist, ob es sich bei diesen Studierenden um Mieter*innen von Insider
Apartments handelt.
Weitere Adressen von Insider Apartments sind die Johann-Sigismundstr. und die Leibnizstr. 75 in Charlottenburg, sowie nun ganz frisch die Mittenwalder Str. 6.