Wir — die Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG — möchten gerne die Karte der Verdrängungsprozesse für "61" aktualisieren: viele Mietshäuser haben nicht nur die Abgeschlossenheitserklärung, sondern sind mittlerweile in Eigentumswohnungen umgewandelt. Kündigungen wegen 'Eigenbedarf' haben Hochkonjunktur. Ferienwohnungen in lukratives möbliertes, zeitlich befristetes Wohnen übertragen. Kleingewerbetreibende verdrängt...
Schaut doch mal in der Karte nach, ob in euren Häusern Daten aktualisiert werden sollten oder ob euer Haus überhaupt schon auf der Karte ist.
25.06.2016: Statement von Bewohner_innen aus dem Vorderhauses der Rigaer94

Welche Straße hat mehr Polizeischutz als das Regierungviertel? Die Rigaer Straße.

Wir, Anwohner_innen aus dem eingezäunten Bereich Rigaer 94-96, berichten, was die Räumung der Rigaer94 gerade für uns bedeutet.

Einlasskontrollen

Nach wie vor sichert durchschnittlich ca. eine Hundertschaft den Zugang zu den vier Häusern, deren Hauseingänge hinter der Absperrung aus Tretgittern liegen. Wer rein will, muss anhand von Ausweisdokumenten den Beweis bringen, hier zu wohnen, wobei teilweise die Personalien notiert werden. Wer Gäste empfangen will, muss auf milde gestimmte Beamte hoffen. Meistens jedoch wird der Zugang ohne Begründung verwehrt oder es wird auf das ASOG verwiesen. Es wurden zahlreiche Fälle dokumentiert, wo von der Polizei nahe Angehörige abgewiesen wurden und dabei zusätzlich beleidigt wurden. Oft werden beim Einlass außerdem Taschen durchsucht, wobei auch die Security von der Einsatzleitung gedeckt wird, wenn diese ansonsten den Zugang verwehren.

Securities

Die Securities bewegen sich überall in den nicht privaten Räumlichkeiten der Rigaer94. Teilweise machen sie Einlasskontrollen. Hauptsächlich aber sitzen sie in den Treppenhäusern im Hinterhaus und Vorderhaus und im Garten herum, wobei sie unter anderem in Flaschen und Becher urinieren und stehen lassen. Sie haben bereits mehrfach Bewohner_innen beleidigt und bedroht, leuchten Nachts mit Taschenlampen in die Gesichter und vermüllen zudem das Haus mit Fast-Food-Verpackungen. Auf ihr Verhalten angesprochen, haben sie bereits mehrfach Anzeige gegen Leute erstattet, indem sie behaupteten, beleidigt worden zu sein. Sie können sich darauf verlassen, von der Polizei freundschaftlich behandelt zu werden. Es kam auch schon vor, dass Polizeibeamte sie dazu aufforderten, Anzeige zu erstatten.

Polizei im Haus

Herr Pohl von der Direktion 5, welcher stets in Streifenuniform unterwegs ist, leitet die Räumung. Von Anfang an hat er eindeutig die Befehlsgewalt über Bauarbeiter, Securities und natürlich die Hundertschaften, welche das Haus immernoch regelmäßig durchstreifen. Er ordnete z.B. mehrfach direkt an, was die Bauarbeiter mit ausgeräumtem Material machen sollten. Herr Pohl hat auch schon durch Zwang auf Bewohner_innen eingewirkt, die sich gegen seinen Willen frei im Haus bewegen wollten. Er koordiniert per Telefon die baulichen und technischen Sicherungsmaßnahmen mit den Polizeimaßnahmen und versucht offenbar, den Gesamtüberblick zu behalten. Er ist mehr oder weniger ganztägig anwesend. Er wurde auch des öfteren als Verantwortlicher angegeben, wenn die Einlasskontroll-Beamten danach gefragt wurden.

Insgesamt hat die Polizeipräsenz im Haus direkt im Vergleich zu den Vortagen bereits abgenommen, was auch daran liegt, dass Alarmanlagen im Dachgeschoss installiert wurden, die laut geleakten Informationen direkt mit der Direktion 5 verbunden sind. Trotzdem führen ab 6 Uhr morgens ständig Bullen „Begehungen“ im Treppenhaus durch und Belästigen durchgehend mit ihrer Präsenz.

Räumungsarbeiten der Bauarbeiter

Die Bauarbeiter geben nicht Preis, für welche Firma sie arbeiten. Zwei aggressive Bauarbeiter stehen den anderen, sehr demütigen Arbeitern vor. Besonders einer mit kurzgeschorenen Haaren und sehr weißer Haut, welcher sich als russischer Nazi bezeichnet, hat sich durch Drohungen und Übergriffe und sexuelle Belästigungen gegen Bewohner_innen und Besucher_innen hervorgetan. Er ist davon überzeugt, das Richtige zu machen und hat Spaß dabei. Er versteht sich gut mit den Hundertschafts-Beamten, welche seine Aggressionen stets erfreut zur Kenntnis nahmen.

Der Bautrupp hat zuerst die Kadterschmiede ausgeräumt, wobei das ganze Interieur in einen Bauschuttcontainer auf der Straße geschmissen wurde. Nur wenige Dinge konnten vor der Entsorgung gerettet werden. Aus Lager- und Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss wurden teilweise hochwertige Baumaterialien entwendet, sowie ca. 30 Fahrräder. Die zwei vorstehenden Bauarbeiter wurden auch schon dabei gesehen, wie sie unter den Augen der polizeilichen Einsatzkräfte Dinge für den persönlichen Gebrauch aussortierten, sprich klauten.

Die Werkstatt und der Wäscheraum mit mehreren Waschmaschinen wurde auch ausgeräumt. Der Verbleib der Gerätschaften und Eisenwaren ist teilweise nicht geklärt. Es muss angenommen werden, dass auch hier massiv geklaut wurde, zumal sehr hochwertige Maschinen und Materialien darunter waren. Die Erdgeschossräumlichkeiten sind mit Bautüren gesichert.

Nach dem Erdgeschoss wurde der Dachboden ausgeräumt, wobei alle Materialien vom vierten Stock in den Hinterhof-Garten geworfen wurden. Dort liegen sie nun zerstört herum. Das Dachgeschoss ist leer und auch durch Bautüren beziehungsweise Stahlkonstruktionen verschlossen.

Der Garten wurde komplett zerstört. Gemüsebeete wurden eingeebnet, das Gewächshaus, ebenso wie zwei Carports zerstört und abtransportiert. Gelagertes Brennholz wurde entwendet.

Rechtliches

Die aktuelle Räumung ist ohne Ankündigung und ohne aktuellen Räumungstermin durchgezogen worden. Sie ist also illegal. Die Kontrollmaßnahmen sind illegal. Der Eingriff in die Privatsspähre ist illegal. Die Baumaßnahmen sind illegal. Die Security-Firma arbeitet ohne die nötigen Papiere, was ebenso illegal ist.

Es sind Klagen bei Gericht. Am 5. Juli wird es einen öffentliche Anhörung zwischen dem Verein „Freunde der Kadterschmiede e.V.“ und dem Eigentümer geben, bei dem Entschieden wird, ob die Kadterschmiede zurückgegeben werden muss. Kommt alle!

Situation für die Rigaer94-Bewohner_innen

Die Bewohner_innen der Rigaer94 leben zur Zeit quasi ohne Privatsphäre. Auch die Bewohner_innen der anderen Häuser im Block sind stark von dem Polizeieinsatz betroffen. Auf dem Dach patroullieren regelmäßig Polizist_innen, die auch ungeniert durch die Fenster in die Privatwohnungen gaffen. Die Einlasskontrollen haben zur Folge, dass Besuch fast undenkbar ist. In der Rigaer94 lauschen die Securities und Polizeibeamte Gesprächen und provozieren Leute, die zum Beispiel auf dem Weg zu den Toiletten im Treppenhaus sind. Auch im Vorderhaus sitzen Securities im Treppenhaus die ganze Nacht und bewachen den Dachboden und belästigen. Sie sind bewusst Laut und stehen im Weg herum, so dass es unangenehm ist, die Wohnungen zu verlassen. Sie können beobachten, wer in welche Wohnungen geht und wer mit wem im Haus Kontakt hat. Von fast allem ist gleichermaßen das Vorderhaus, welches nicht zum Wohn-Projekt Rigaer94 gehört, betroffen.

Außerdem schwebt die Möglichkeit im Raum, dass nach abgeschlossenen Räumungs- und Sicherungsarbeiten im Erd- und Dachgeschoss die Einsatzleitung die Gelegenheit nutzt, um in die relativ ungeschützten Privatwohnungen einzubrechen. Die Rigaer94 ist der Willkür und der Laune der Besatzerarmada ausgeliefert.

Stimmung im Block

So schlimm es auch klingt und so wütend wir Anwohner_innen über diesen bisher nicht gekannten Polizeiangriff sind: wir lassen uns nicht einschüchtern und nicht unterkriegen. In einer derartigen Situation wird einem Menschen klar, dass es sich bei einem Haus um einen sehr materiellen Wert handelt. Dass Sicherheitskräfte diesen Boden entweihen, kann uns nicht davon abhalten, ihn als den unseren zu betrachten. Und selbst wenn wir unsere liebgewonnene Rigaer94 verlieren sollten, ändert sich nichts daran, dass hier etwas großartiges besteht. Eine Solidarität unter Nachbar_innen, ein Gefühl der inneren Größe und Verbundenheit. So oder so haben 26 Jahre Kampf erreicht, dass der Beweis erbracht wurde, dass es sich lohnt, sich nicht von dieser Gesellschaft, welche hier ihre Polizei reinstellt, auffressen zu lassen. Unsere unversöhnliche Haltung wird nicht nur uns weiter in unserem Leben begleiten, sondern auch die vielen Generationen, die mit uns kämpfen.

Keine Frage: falls sie die Rigaer94 abschaffen, fehlt etwas in diesem Kiez und wir werden sie schmerzlich vermissen. So wie die vielen anderen Menschen und Projekte, die vor ihr weggeräumt wurden.

Wir geben aber längst nicht auf: wir kämpfen für unsere rebellischen Strukturen.

Der Kampf geht weiter und noch ist nichts entschieden!

Haltet den Druck aufrecht!

Wir haben nichts zu verlieren außer unsere Angst!